“Über die parkartigen Anlagen blicken Sie hinunter bis zum Ufer des Sees”

Der Amateurhoteltester – Folge 1 – Hodson Bay Resort (Irland)

Der Fußabtreter war dreckig. Das war mein erster Eindruck schon vor Betreten des Hotels. Dreckig und abgelatscht. Kein gutes Omen. Schon von außen hatte das “Hodson Bay” auf mich wie eine eigenartige Melange aus ibis-Betonklotz und Rüschengardinen gewirkt.

Drinnen wurde es nicht wirklich besser: Die Lobby im barocken IKEA-Neo-Renaissance-Stil war gefüllt mit emeritierten Barbies gereiften Alters, deren rüschige Designerfetzen gerne etwas mehr als nur die Oberschenkel hätten bedecken dürfen und die mit ihren englischen Hutkreationen wohl ihre Kleinmädchenfantasien vom royalen Pferderennen in Ascot mit Leben erfüllen wollten.

Aber wir waren nicht in Ascot. Nein, wir waren tief im grünen Herzen Irlands, wo größere Kleinstädte schon als Metropolen gelten und ein besserer Supermarkt zur Shopping Mall deklariert wird. Auf dem Weg von der Westküste zurück nach Dublin hatte ich noch zwei Tage ausspannen wollen und das Angebot des Hotels mit unverbautem Seeblick, kulinarischen Köstlichkeiten und Wellness klang nach den Tagen an der rauhen Küste zumindest online gar zu verlockend.

Doch vor der Entspannung in der Whirlpoolwanne im Zimmer mit Seeblick hatte das Hotelmanagement das Anmeldeprozedere vorgesehen. Und das zog sich. An vier Schlangen schnatterten die frisch angekommenen Hochzeitsgäste im Ascot-KiK-Look wild durcheinander, während deren Kinder zwischen den Erwachsenenbeinen lautstark Verstecken spielten. Die Whirlpoolwanne würde wohl noch etwas warten müssen.

Eine halbe Stunde später stand ich dann endlich vor Dimitri, dem uririschen Rezeptionisten, der mir in gebrochenem Allesmögliche die Details meines Aufenthalts erläuterte. Und gleich die volle Hotelrechnung für zwei Tage inklusive möglichem oder vom Hotel zumindest erwarteten Verzehrbetrag per Kreditkarte abknöpfte. Ganz gegen meine Natur entschied ich mich gegen Protest. Eine Entscheidung die ich im gleichen Moment und wenig später noch einmal schwer bereute. Aber die Badewanne wartete.

Mein Zimmer war offenbar in einem Seitentrakt gelegen. Gefühlte 2 Kilometer vom Haupthaus, einmal an den Restaurants vorbei, an bunten Infoständen des lokalen Tourismusmarketings, quer durch den Kongressbereich, diverse Zweitlobbys und den chlorgeschwängerten Vorbereich zur Spa, aus der lautes Kindergeschrei zu hören war, entgegen von Busladungen von rollkofferbewaffneten irischen Rentnern. Landidylle hatte ich mir anders vorgestellt.

In diesem offenbar von einem unter Whiskyeinfluss stehenden Architekten im Fieberwahn erschaffenen Gängelabyrinth hätte ich mein Ziel beinahe nicht mehr gefunden. Doch weitere 20 Minuten später stand ich schließlich vor dem Zimmer meiner “Lake View Suite”, öffnete erwartungsvoll die Tür, schob die schweren Stores beiseite und sah: Das Dach der Schwimmhalle. Der See selbst war nur schemenhaft zur Rechten zu sehen, und dies auch nur gut, wenn man das Fenster öffnete, hätte man es denn öffnen können.

Also zurück zur Rezeption, 20 Minuten stramm gelaufene Minuten samt Gepäck, die ich später in meiner Fitness-App als Ausgleich für die vorgesehenen kulinarischen Leckereien des Abends eintragen würde. Die Schlange an der Rezeption ersparte ich mir, indem ich mich wirsch vordrängelte. Rezeptionist Dimitri versicherte mir gleichgültig, das schon alles seine Richtigkeit habe. Und auch das Handyfoto auf der Buchungswebseite des Hotels mit dem ungetrübten Seeblick vermochte ihn nicht zu überzeugen. Ich bat um ein Gespräch mit dem Manager.

Dass die Managerin heute vermutlich nicht ihren besten Tag hatte, sah ich schon an ihrem genervten Gesicht beim Betreten der Lobby. Wie konnten Gäste – Gäste (!) – es nur wagen, ihren ohnehin anspruchsvollen Arbeitstag noch weiter zu erschweren. Ohne Umschweife erklärte sie mir, dass es Firmenpolitik sei, dass “Lake View”-Zimmer keine Seeblick hätten.

Das traf mich dann doch etwas unvorbereitet.

Nachdem ich meine Gedanken wieder halbwegs geordnet hatte, widersprach ich energisch und bestand auf dem Zimmer mit Blick. Da hätte ich die Premium-Suite buchen müssen, erwiderte sie schnippisch während sie demonstrativ auf ihre Uhr schaute. Und die Suite sei natürlich teurer, fügte sie hinzu, während sie mich in meinem westirischen Wanderoutfit abfällig von oben bis unten musterte.

Die Ascot-Brautjungfern hinter mir in der Schlange wurden langsam hörbar unruhig. Ich würde dann doch lieber abreisen, sagte ich nach ein paar mal ergebnislosen Hin und Hers. Das könnte ich natürlich machen, meinte sie, aber den bereits bezahlten Betrag könne sie mir natürlich nicht zurückerstatten. Firmenpolitik.

Die darauf folgenden Momente haben sich irgendwie aus meinem Gedächtnis gelöscht. Ich erinnere mich nur, dass ich rot angelaufen bin und laut schnaufend … und da setzt die Erinnerung aus. Sie setzt wieder ein, als Miss Missmanagement wortlos die Lobby verlässt, Rezeptionist Dimitri Minuten später zurückkehrt und mir mit einem weitgehend wortlosen “Hier” eine neue Schlüsselkarte herüberschiebt.

Weitere 20 Minuten später erreiche ich mein neues Zimmer und die Whirlpoolbadewanne habe ich mittlerweile nötiger denn je. Hier finde ich dann tatsächlich den Blick vom Bett durch die vollverglaste Fensterfront auf den See wie auf dem Katalogfoto. Auf dem Katalogfoto waren die Fenster allerdings geputzt.

Die plüschige Siebzigerjahreeinrichtung ignoriere ich und lasse mich erschöpft auf das weiche Bett fallen. Auf dem Nachttisch liegt ein stiftloses Beschwerdeformular, neben das ich gleich meinen Kugelschreiber zur späteren Verwendung lege. Ob hier wohl jemals schon jemand den Grinse-Smiley angekreuzt hat?

“Über die parkartigen Anlagen blicken Sie aus ihrem Zimmer hinunter bis zum Ufer des Sees,” versprach die Hotelwebsite. Das ist formal richtig. Vor dem Hotel parken in vier Reihen die Autos der Hotelgäste. Weiter vorn sieht man dann den teilbetonierten Kieselstrand des Lough Ree.

Der Zettel an der Zimmertür weist mein mittelgroßes Hotelzimmer als jene “Premium Suite” aus, die mir die Managerin vorhin noch gegen üppigen Aufpreis verkaufen wollte. Und deren Bilder praktischerweise gleich für die Vermarktung der anderen Zimmer mit extrem seitlichem Seeblick mit verwendet werden.

Beim Zappen durch die Fernsehkanäle staune ich, welchen immensen Aufwand das Hotel in Zeiten kompletter Digitalisierung des Fernsehempfangs betreibt, um 10 ausschließlich regionale Kanäle verrauscht wieder zu reanalogisieren.

Die Abendsonne scheint durch die vollverglaste Fensterfront und es wird zunehmend warm im Zimmer. Ein Fenster zum vernünftigen Öffnen ist nicht vorhanden, und die Klimaanlage spuckt bei Außentemperaturen von 16 Grad auch nur warme Luft aus. Schweren Herzens schließe ich die dunklen Vorhänge und damit auch den Blick auf den See.